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Die IT-Branche treibt den meisten Recruitern die Schweißperlen auf die Stirn. IT-Fachkräfte sind besonders schwer zu finden, offene Stellen kaum zu besetzen. In Deutschland gibt es — so der IT-Branchenverbandes BITKOM — circa 55.000 offene Stellen für IT-Spezialisten. In Österreich spricht man von 5.000−10.000 fehlenden Arbeitskräften. Also was tun?
Wir haben eine gefragt, die es wissen muss: Carina Wolf ist spezialisiert auf das Recruiting von IT-Fachkräften. Im Interview hat sie uns verraten, was dabei wichtig ist.
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Interview mit Carina Wolf: Die Situation auf dem Arbeitsmarkt
eRecruiter: Wie sieht die Lage aus Ihrer Sicht in der IT-Branche zur Zeit aus? Ist die Situation wirklich so dramatisch?
Carina Wolf: Dramatisch ist ein großes Wort. Aber ja — es gibt definitiv zu wenig verfügbare Arbeitskräfte am Markt und es ist schwierig, offene Stellen zu besetzen. Wobei es sich Unternehmen auch leichter machen könnten, indem sie sich vorab einige Fragen stellen: Wie realistisch ist es, den “Wunderwuzzi” zu finden, der alles kann? Wo bin ich zu Kompromissen bereit? Wie offen bin ich für Arbeitskräfte aus dem Ausland? Kann ich dem einem Top-Senior ein Umfeld bieten, das ihn langfristig hält — oder macht es Sinn, jemanden dahin zu entwickeln, der dann aus Loyalität vielleicht viel länger im Unternehmen bleibt?
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IT-Fachkräfte überzeugen: Was ist wichtig?
Welche Rolle spielt Fachwissen im Recruiting von IT-Spezialisten?
Aus meiner Sicht ist das schon sehr wichtig. IT-Spezialisten haben oft keine Lust mit Recruitern zu reden, weil sie denken, dass wir sowieso keine Ahnung haben. Da kann man dann sehr gut punkten, wenn man eben doch etwas Wissen mitbringt. Ich habe mir vor allem in meiner Zeit bei bwin Wissen aufgebaut. Dort habe ich eng mit den Managern zusammengearbeitet, für die ich Fachkräfte gesucht habe. Ich habe mich bemüht, die verschiedenen Technologien zu verstehen und wie sie zusammenhängen. Das wird von IT-Spezialisten immer wieder positiv aufgenommen.
Was ist aus Ihrer Sicht noch wichtig im Recruiting von IT-Fachkräften? Was macht die Zielgruppe aus?
Ich finde es sehr wichtig, auf die jeweilige Person, die man anspricht, individuell einzugehen. Für mich gilt: lieber Qualität in der Ansprache als Masse! Ich erstelle gerne Videos für interessante Kandidaten, in denen ich einen Zusammenhang herstelle zwischen ihrem Profil und der Position, die besetzt werden soll. Damit signalisiere ich, dass ich mich mit der Person auch wirklich auseinandergesetzt habe. Das führt nicht immer dazu, dass ich jemanden sofort rekrutieren kann. Aber ich bleibe bei vielen im Hinterkopf. Ich erlebe immer wieder, dass sich dann jemand Monate später wieder bei mir meldet, weil er nun bereit ist zu wechseln und sich an das Video erinnert.
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Active Sourcing von IT-Spezialisten braucht Zeit… und viel Empathie
Wieviel Zeit investieren Sie in einen einzelnen Kandidaten im Vorfeld?
Pro Kandidat circa 15 Minuten. Ich schaue mir dann nicht nur das LinkedIn-Profil an, sondern recherchiere auch auf anderen Kanälen. Ich mache mir Gedanken, ob jemand zu einer Rolle passen könnte, was ihn an der Position bzw. Unternehmen reizen könnte und prüfe, ob er die entsprechenden Technologien kennt. Wenn ich dann noch ein Video aufnehme können es auch einmal 30 Minuten werden, die ich in einen Kandidaten investiere.
Dabei geht es wahrscheinlich auch darum, Profile von IT-Experten richtig “lesen” zu können?
Ja absolut. Hier sind Empathie und Menschenkenntnis gefragt. Ich versuche dabei auch auf Kleinigkeiten zu achten oder mir die Interessen einer Person näher anzuschauen. Auch das kann ein Punkt sein, wo man einhakt. Außerdem überlege ich mir, warum jemand wechselbereit sein könnte. Etwa, weil er z.B. schon seit 3 Jahren in einer bestimmten Position ist.
Natürlich geht man dabei auch das Risiko ein, dass man eine falsche Annahme trifft. Bewährt hat es sich dennoch immer — selbst wenn ich falsch liege, erhalte ich eine Antwort, weil einen Schritt weiter gegangen bin als die meisten.
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Tipps vom Active Sourcing-Profi für Recruiter
Gibt es noch etwas, dass Sie für wichtig halten, wenn es um das Recruiting von IT-Fachkräften geht?
Ich finde es wichtig, sich klarzumachen, dass man sich in einem Verkaufsprozess befindet: Als Recruiter muss ich den Kandidaten überzeugen. Dafür muss man eine entsprechende Mentalität mitbringen. Am Ball bleiben, nachhaken und auch ein zweites, drittes Mal anrufen. Manche ITler erhalten zig Nachrichten pro Woche — da kann schon mal eine übersehen werden.
Für viele Recruiter bedeutet das auch, dass sie ihre Einstellung verändern müssen. Mir begegnen immer noch genug HR-Profis, die zwar händeringend suchen — aber nicht bereit sind, sich den neuen Bedingungen am Arbeitsmarkt anzupassen. Deshalb empfehle ich Unternehmen auch, auf die Skills ihrer Recruiter zu achten. Sie müssen diese Sales-Mentalität mitbringen und mit Begeisterung Kandidaten für ihr Unternehmen gewinnen wollen.
Wie wird das in Zukunft aussehen: Denken Sie die Lage auf dem Arbeitsmarkt spitzt sich noch weiter zu?
Ich denke schon. Die Nachfrage steigt weiterhin. Über die Jahre wird wohl durch zunehmende Automatisierung der Druck etwas herausgenommen — Unternehmen werden dadurch insgesamt weniger IT-Fachkräfte benötigen. Ich sehe das aber gar nicht so dramatisch. Ich denke häufig scheitert das Recruiting von IT-Spezialisten einfach an der Bereitschaft von Unternehmen, auch über den Tellerrand — oder Landesgrenzen — zu schauen und von Recruitern sich neue Skills anzueignen, um beim Active Sourcing erfolgreich zu sein.
Vielen Dank für das Interview!
Fazit
Bei der Ansprache von IT-Fachkräften ist es entscheidend, auf Copy & Paste zu verzichten und eine individuelle Nachricht zu erstellen. Eine sympathische Videobotschaft bleibt in Erinnerung und kann den entscheidenden Vorsprung im Kampf um die besten Talents bedeuten.