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Wie bitte? Agiles Recruiting? Ist das bloß das nächste Buzzword, das in den sowieso schon überfüllten Raum geworfen wird? Keineswegs! Richtig angewandt, sorgt agiles Recruiting für qualifiziertes Personal und zufriedenere Mitarbeiter.
Der agile Ansatz richtet sich nach vier Leitsätzen, von denen besonders dieser bedeutend fürs Recruiting ist: „Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.” Klingt erst einmal etwas hölzern? Mag sein. Macht aber bei genauer Betrachtung ganz viel Sinn. Nach den nächsten Absätzen wissen Sie auch warum. Und wie Unternehmen von der Anwendung der agilen Prinzipien im Recruiting profitiert.
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Was ist agiles Recruiting?
Seinen Ursprung hat der agile Ansatz in der Softwareentwicklung: 2001 wurde das Agile Manifest von 17 angesehenen Softwareentwicklern verfasst. Es umfasst vier Leitsätze. Den wohl wichtigsten haben wir bereits kennengelernt: „Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge.”
Was bedeutet das? Nun das wurde hier schon sehr gut erklärt:
“Die agilen Vorgehensweisen zielen darauf, den beteiligen Personen den notwendigen Freiraum zu schaffen, damit sie ihre kreativen und handwerklichen Potentiale und Kompetenzen zum Vorteil des jeweiligen Vorganges voll ausschöpfen können, wohingegen die klassischen Vorgehensweisen ein enges Korsett abzuarbeitender Handlungsanweisungen vorgeben.”
Ein wesentliche Konsequenz dieser Vorgehensweise ist, dass Führungskräfte und Mitarbeiter ihre Rollen und ihr Verhältnis zueinander überdenken und neu gestalten. Auch über Abteilungsgrenzen hinweg.
Connecting the dots: Experten zusammenbringen
Was bedeutet das fürs Recruiting? Ein Beispiel: Ein typisch nicht-agile Herangehensweise bei der Personalsuche ist der Post & Pray-Ansatz, wie er heute immer noch häufig praktiziert wird: Auftrag entgegennehmen, Stellenanzeige veröffentlichen, auf Bewerber hoffen, einen davon auswählen. Die Stellenanzeige wird dabei von der HR-Abteilung oder dem Recruiting-Verantwortlichen erstellt. Das Problem: Diese Person hat oft nicht genug Hintergrundwissen zur offenen Stelle, um die Stellenanzeige überhaupt so formulieren zu können, dass sich geeignete Kandidaten angesprochen fühlen und bewerben.
Natürlich kommt auch das agile Recruiting nicht ohne Stellenanzeigen aus. Aber hier trägt das Team, in dem die offene Position besetzt werden soll, einen wichtigen Teil dazu bei. Es wird etwa beim Verfassen der Stellenanzeige miteinbezogen. Und es darf sogar mitentscheiden, welche/r Bewerber/in die Zusage erhält. Klingt ungewohnt? Sehen wir uns die einzelnen Schritte genauer an.
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Wie funktioniert agiles Recruiting?
Die Stellenanzeige
In den meisten Unternehmen formulieren Personen die Stellenanzeigen für offenen Positionen, die den jeweiligen Job nie selbst ausgeübt haben und nicht im gleichen Team tätig sind. Sie wissen im Vergleich zu den Kollegen aus der Fachabteilung relativ wenig über die Stelle und die Rahmenbedingungen. Das ist auch völlig nachvollziehbar. Als Recruiting-Verantwortlicher müssen sie den Spagat schaffen, für alle möglichen Jobs passende Anzeigen zu formulieren. Sie kennen die Spielregeln und den richtigen Aufbau, Sie haben jede Menge Formulierungen parat. Detailliertes Fachwissen ist da ganz schön viel verlangt.
Genau hier kommt der obige Satz ins Spiel, der besagt, dass Individuen und Interaktionen wichtiger sind als Prozesse und Werkzeuge. Sie als Recruiter wissen, wie Stellenanzeigen aufgebaut und veröffentlicht werden. Ihre Kollegen aus der jeweiligen Abteilung wissen, wen genau sie suchen. Zeit, beide Expertisen unter einen Hut zu bringen. Denn das sagt schon der schlichte Menschenverstand: Zusammen ist man immer schlauer als alleine!
Agile Prinzipien brauchen das entsprechende Mindset
Das agile Mindset hat das verstanden und fördert die Kooperation auf Augenhöhe – anstatt auf Hierarchien, Ellbogenstrategie und “Nur ich weiß wie es richtig geht!” zu setzen. Hier arbeiten alle gleichwertig am gemeinsamen Ziel – anstatt sich im Alleingang durchzuboxen. (Übrigens sind dabei auch Fehler und ein “Ich weiß nicht genau” absolut erlaubt! Dazulernen ist keine Schande.)
Bringen Sie also am Besten alle an einen Tisch. Und zwar heute noch und nicht erst nach vier Wochen Planungsphase und hundert Abstimmungsmails. Während Sie im Alleingang vielleicht Stunden brauchen, um alle wichtigen Facts zusammenzutragen und z.B. den Tech-Stack Ihrer IT-Abteilung zu überblicken, haben Ihre Kollegen das direkt parat. Sie wissen, was die gewünschte Zielgruppe wirklich interessiert und anspricht – von der Wortwahl bis zu den Benefits.
Häufig können Sie daher im agilen Recruiting Blabla und Worthülsen vermeiden. Oft geht es auch nicht mehr so stark um Fähigkeiten und Lebensläufe, sondern um die menschliche Seite der KandidatInnen: Wer passt ins Team? Was wird gebraucht? Wofür brennt man gemeinsam?
Was die Form betrifft, sind die Recruiter wieder die Profis und wissen, wie die Inhalte idealerweise aufbereitet und in den entsprechenden Kanälen gestreut werden.
Ein gutes Beispiel, wie das in der Praxis aussehen kann, finden Sie in diesem externen Blogbeitrag.
Die Vorauswahl
Nach Veröffentlichung der Stellenanzeige flattern im besten Fall Bewerbungen ins Haus. Die Vorauswahl liegt bei der Personalabteilung. Sie wählen eine Reihe von KandidatInnen aus, die die gewünschten Anforderungen für den Job erfüllen und deren Werte zu jenen des Unternehmens zu passen scheinen.
Nun gilt es auch hier wieder das Feedback der jeweiligen Abteilung und ihrer Mitarbeiter einzuholen. Besonders unkompliziert möglich wird das etwa mit einem digitalen Recruiting Tool, über das Sie alle Stakeholder involvieren. Sie können sich die BewerberInnen ansehen, deren Passung bewerten und Kommentare hinterlassen. Möglicherweise haben sie dabei ganz andere Kriterien als Sie im Blick – weil sie eben auch den Arbeitsalltag in ihrer Abteilung ganz genau kennen.
Verfügen Sie sogar über einen Talent Pool – den Sie ebenfalls in einem Recruiting Tool wie dem eRecruiter anlegen können – können Sie Ihre Kollegen auch einladen, dort Personen auszuwählen, die passen. Die Moderation sollte auch hier weiterhin bei der Personalabteilung oder beim Recruiter liegen. Aber legen Sie alle Scheuklappen und Silodenken ab. Der Erfolg wird Ihnen recht geben. Denn in einer Zeit, in der sich das Tempo mit dem Veränderungen immer schneller geschehen, werden starre Strukturen nicht funktionieren.
Das Bewerbungsgespräch
Das Bewerbungsgespräch kann in agilen Unternehmen etwas anders aussehen als in nicht-agilen. Hier gibt es meist kein Einzelgespräch mit dem Chef oder dem Recruiter, der – seien wir ehrlich – im Alltag mit dem neuen Mitarbeiter wahrscheinlich nur wenig zu tun haben wird. Stattdessen wird der Termin sofort genutzt, um ein erstes Kennenlernen mit dem Team oder zumindest Kollegen aus der Fachabteilung zu ermöglichen. So können direkt erste Fragen geklärt werden, die vielleicht für die Zusammenarbeit wichtig sind. Und es wird bereits spürbar, wer das beste “Match” sein könnte.
Wer bereit ist, den Kulturwandel in Richtung Agilität anzugehen, der sollte vielleicht auch den Kriterienkatalog für BewerberInnen überprüfen: Für ein agiles Arbeitsumfeld braucht man Mitarbeiter, die selbstständig arbeiten, auch mal über den Tellerrand hinaus denken, echte Teamplayer sind und flexibel auf Veränderungen reagieren. Sind die Prinzipien, nach denen ein agiles Team arbeitet, dem potenziellen Mitarbeiter nicht bekannt, dann gilt es, im ersten Gespräch etwas Aufklärungsarbeit leisten und einen entsprechenden Onboarding-Prozess anzubieten.
Die Entscheidung
Die Entscheidung für einen bestimmten Kandidaten erfolgt dann, wie gesagt, im Team. Der Vorgesetzte erhält lediglich ein Vetorecht. Das sorgt häufig dafür, dass von allen Stakeholdern auch das entsprechende Commitment vorhanden ist, um das Onboarding und die Integration ins Team bestmöglich zu gestalten. Schließlich haben die Mitarbeiter der Fachabteilung ihren neuen Kollegen selbst ausgewählt und wollen bestimmt, dass sich ihre Entscheidung als richtig erweist. Sie ahnen noch gar nicht, was die Gelegenheit zur Mitbestimmung und -getaltung in einem Team auslösen kann!
Alle formellen Dinge übernehmen dann natürlich wieder die Experten der HR Abteilung. Sie dürfen sich über die geteilte Verantwortung freuen: Sollte ein/e Kandidat/in sich doch nicht als ideale Besetzung erweisen, dann trägt man auch diese Erkenntnis gemeinsam und sucht zusammen nach der bestmöglichen Lösung.
Die Wahrscheinlichkeit dafür nimmt aber ab, wenn Sie Ihr Recruiting agiler gestalten. Viel wahrscheinlicher ist, dass Sie sich dann über noch mehr Erfolge als Recruiter freuen dürfen.
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Für wen macht agiles Recruiting Sinn?
Unternehmen, nach dem agilen Organisationsprinzip arbeiten, sollten die entsprechenden Prinzipien natürlich auch im Recruiting anwenden. Denn es ist deutlich wahrscheinlicher, dass sie so die auch die passenden Mitarbeiter finden, als wenn sie sich an traditionelle Abläufe halten. Zudem haben Sie in Zeiten des Fachkräftemangels häufig bessere Chancen, die besten Talents für sich zu gewinnen, wenn diese bereits beim Bewerbungsgespräch ihre künftigen Kollegen kennenlernen und ein Gespür für die Unternehmenskultur gewinnen.
Aber auch in traditionelleren Unternehmen mit hierarchischen Strukturen kann agiles Recruiting sinnvoll sein. Wie gesagt: Sie werden als Recruiter nie so viel über einen Job oder eine Abteilung wissen, wie Ihre Kollegen. Das ist kein Manko – sondern schlichte Alltagsrealität.
Wenn manches Ihnen noch zu schwierig oder ungewohnt erscheint, dann fangen Sie einfach schrittweise an, agile Prinzipien anzuwenden. Setzen Sie um, was Sie sympathisch finden oder leicht geht. Sammeln Sie Erfahrungen, lernen Sie daraus und werden Sie immer besser. Wer weiß, vielleicht macht es sogar Spaß, etwas auszuprobieren, und Routinen einmal zu unterbrechen. Und ihre Kollegen werden sich sicher freuen, wenn Sie Ihre Expertise einholen.
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Wieso ist agiles Recruiting ein Trend?
Einige Punkte haben wir bereits angesprochen: Die Bedürfnisse und Ansprüche der KandidatInnen, aber auch der Unternehmen bzw. Fachabteilungen sind in Bewegung. Im Zuge der Digitalisierung verändert sich unser Arbeitsalltag, verändern sich Prozesse, Aufgaben und Probleme laufend. Um diese flexibel zu meistern, brauchen sie ganz andere Skills von ihren MitarbeiterInnen als früher. Um diese für ein Unternehmen gewinnen zu können brauchen Recruiter – angesichts des Fachkräftemangels – neue oder zumindest angepasste Strategien.
Gemeinsam mit einem starken Team, lassen sich diese Herausforderungen viel besser und dynamischer meistern. Ein Kulturwandel in Richtung Agilität muss auf allen Ebenen verstanden und mitgetragen werden – auch im Recruiting. Als Recruiter erhalten Sie dadurch neue Spielräume und Mitgestaltungsmöglichkeiten. Sie bekommen Unterstützung, um noch erfolgreicher zu werden. Und Sie gewinnen Mitarbeiter, die Ihr Unternehmen zukunftsfähig machen. Klingt doch überzeugen, oder?