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Svenja Hofert ist nicht nur Beraterin, sondern auch eine der bekanntesten und erfolgreichsten Autorinnen im deutschsprachigen Raum, wenn es Management- und Karrierethemen geht. Bereits 35 Bücher hat sie in den letzten 20 Jahren geschrieben. Aktuell widmet sie sich schwerpunktmäßig der Frage, welche Folgen die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt hat und wie wir uns als Menschen weiterentwickeln können, um das Beste aus den vielen Veränderungen zu machen, die unaufhaltsam vor sich gehen.
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Fit für die Zukunft: Shifts statt Updates
In ihrem neuesten Buch “Mindshift” beschreibt Svenja Hofert sehr lesenswert und inspirierend, was uns die Arbeitswelt der Zukunft abverlangen wird. Sie baut dabei auf neueste entwicklungspsychologische und neu-robiologische Erkenntnisse sowie ihre jahrzehntelange Erfahrung als Beraterin, Speakerin und Autorin auf. Bereits auf den ersten Seiten des Buches macht sie deutlich, dass ein schlichtes „Update“ des Bestehenden nicht ausreicht, um fit für die Zukunft zu sein – sondern, dass wir uns tatsächlich verändern, weiterentwickeln, auf etwas völlig Neues einlassen sollten.
Dass das aber überaus positiv zu sehen ist, wird bei Svenja Hofert schnell deutlich: In einer Zukunft, in der wir mit Künstlicher Intelligenz kooperieren, können wir uns wieder auf jene Stärken besinnen, die uns Menschen ausmachen und die so schnell kein Computer übernehmen kann – zum Beispiel Empathie, Kreativität, Intuition. Fachwissen wird in Zukunft etwa weniger wichtig sein als die Fähigkeit, kreative Verbindungen zwischen Themen und Wissensbereichen herzustellen.
Aber was bedeutet das für das Recruiting der Zukunft? Wie findet man Mitarbeiter, die die Kompetenzen der Zukunft mitbringen? Und werden irgendwann Computer Recruitern den Job wegnehmen? Wir haben Svenja Hofert zum Interview gebeten und spannende Antworten erhalten.
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Interview mit Svenja Hofert: Wie wird sich Recruiting verändern müssen?
eRecruiter: In Ihrem Buch „Mindshift“ schreiben Sie, dass die anstehenden Veränderungen in der Arbeitswelt uns einen echten „Shift“ abverlangen – und ein „Update“ des Bestehenden nicht mehr ausreicht. Welche Shifts sind aus Ihrer Sicht fürs Recruiting wesentlich? Wie muss sich das Recruiting verändern, damit Unternehmen die richtigen Mitarbeiter haben, um den Wandel erfolgreich mitgestalten können?
Svenja Hofert: Wie alle anderen Bereiche digitalisiert sich auch das Recruiting. Damit verändern sich nicht nur die bisherigen Funktionen und Jobprofile innerhalb von HR, sondern auch das Verhältnis zum Bewerber. Recruiter brauchen in Zukunft noch mehr übergreifendes technisches Verständnis, zugleich aber die Fähigkeit zu Beziehungsaufbau und Empathie. Ich glaube nicht, dass z.B. Chatbots wirklich mehr sein werden als „Aussortierer“. Die wirklich wichtigen, interessanten Kandidaten agieren nicht mit einem Modul bei Facebook – sie sind nicht (mehr) bei Facebook.
Es gilt, an ganz vielen Stellen über den Tellerrand zu schauen, viel mehr im Team und co-kreativ Ideen zu entwickeln – wo doch Recruiter bisher ein ziemlicher Einzeljob war. Kurzfristiges Denken zahlt sich ganz gewiss nicht mehr aus, wenn man sich anschaut wie lange es dauert, bis ein Kandidat ein gutes Profil entwickelt hat und wie sehr er oder sie die Wahl hat und noch mehr haben wird. Das braucht Ideen jenseits des Standards, den man sich so auf Kongressen und in Barcamps einholt.
Flexibles Denken, Neugier, Empathie – all das, was Computer nicht mitbringen, werden jetzt essentiell. Zugleich darf der Algorithmus dem Recruiter kein X für ein U vormachen – man muss durchschauen, was da passiert und wie Datenanalysen und People Analytics entstehen, was also überhaupt ausgewertet wird. Das ist eine Riesenbaustelle an nötiger Lernerfahrung, denn die bisherigen BWL- oder Personalmanagement-Studiengänge sind überhaupt nicht darauf ausgerichtet. Das bisherige Denken inklusive die diese fördernden Anreizsysteme laufen dem auch diametral entgegen.
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Die Skills der Zukunft im Bewerbungsgespräch
Sie schreiben, dass Fachwissen an Bedeutung verliert und menschliche Fähigkeiten wie Kreativität, Intuition, Empathie wichtig werden. Diese Fähigkeiten sind nicht so leicht in einem Lebenslauf nachweisbar. Wie können Recruiter in einem Bewerbungsgespräch feststellen, ob jemand über diese Fähigkeiten verfügt?
In einem Bewerbungsgespräch kann man solche Dinge schwer feststellen, das braucht eine „Liveschaltung“ und die sehe ich auch nicht im Assessment Center. Ich denke es wird immer wichtiger, Möglichkeiten zu finden, um ausprobieren zu können, ob und wie jemand passt. Vielleicht helfen Simulationen oder 3D-Technik, aber sicher nicht allein.
Die Grenzen sind bei den bisherigen Instrumenten sehr eng gezogen. Die ganze Eignungsdiagnostik ist auf eine Effizienzwelt mit Einzelindividuen ausgerichtet. Ein Team ist aber viel mehr als die Summe seiner Mitglieder – oder viel weniger. Ich würde Bewerbungsgespräche im bisherigen Sinne nur noch als maximal ein Puzzlesteinchen sehen.
Es muss darum gehen, zu erleben, wie jemand in einem Team arbeitet – und zwar in einem speziellen. Das, was hier klappt, kann dort überhaupt nicht funktionieren. Ganz viele, sehr unterschiedliche und auch verschiedenen Kulturkreisen und Denksystemen entspringende Typen müssen sich verständigen können – das ist wahnsinnig komplex, denn Menschen neigen dazu, sich nur über das auszutauschen, was eh alle wissen. Und wir haben nicht nur verlernt, neugierig zu sein, sondern auch die anderen bewertungsfrei anzunehmen, als Subjekte. Das Recruiting geht ja schon traditionell ganz viel über Bewertung – doch in komplexen Zusammenhängen verliert sich der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Es braucht auch beispielsweise den Blick auf Gruppendynamiken.
Talentmanagement basiert oft auf einer Analyse der bisher „nützlichen“ Kompetenzen. Doch sind es die, die auch in die Zukunft führen? Da habe ich Zweifel.
Sie ermutigen in Ihrem Buch dazu, Dinge in Frage zu stellen, quer zu denken. Aber wie teamfähig sind Querdenker? Brauchen wir künftig andere emotionale Skills, damit die Zusammenarbeit im Team funktioniert?
Wichtig ist, den Querdenker vom Querschläger zu unterscheiden. Jedes Team braucht Leute, die über den Tellerrand denken können, aber produktiv und sozial sind. Kommunikation muss ein neues Level erreichen und Erkenntnisse aus der Verhaltensökonomie und Sozialpsychologie berücksichtigen. Sinnvoll ist beispielsweise, Einzel- und Teamarbeit zu kombinieren und neue Strukturen einzuführen, die Kommunikation auf eine andere Art und Weise ermöglichen.
Beispiel: Es steht eine Entscheidung an. Bisher entschied einer oder die Gruppe stimmte ab. Dabei kommt nicht alles Wissen zum Tragen, das das Team hat. Besser wäre beispielsweise folgende Vorgehensweise: Erst überlegt jeder für sich, was er für die Entscheidung einbringen kann, dann unterhält sich ein Tandem über diese Erkenntnisse und verdichtet, schließlich bildet sich ein Viererteam, dann kommen Acht zusammen und so weiter… Ziel ist immer die Verdichtung und Weiterentwicklung dessen, was sich durch solche Formate zeigt. Das ist ein ganz anderes als das gewohnte Vorgehen.
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Keine Angst vor der Digitalisierung
Bei vielen Menschen lösen die vielen Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, Verunsicherung oder gar Ängste aus. Warum ist für Sie die Digitalisierung keine Bedrohung, sondern eine Chance? Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht, die Komfortzone des Vertrauten zu verlassen?
Wir haben die Chance, eine bessere Arbeitswelt zu schaffen und Computer als Partner zu nutzen. Dann kann das eine Befreiung von körperlicher Arbeit und langweiliger Routine sein. Wir Menschen sind nun mal keine guten Rechenmaschinen, wir denken nicht exponentiell. Aber wir sind eben so erzogen worden, dass das Analytische als wichtiger bewertet wird als das Empathische und Kreative. Das ist völlig verrückt in diesem Paradigmenwechsel! Es macht Freude, kreativ zu sein. Kinder sind schon von Natur aus neugierig, Erwachsene haben das komplett verlernt. Sie sehen sich oft als fixiert und „fertig“ an. Doch wer begreift, dass er sich selbst und sein Umfeld gestalten kann, wer sich auf das Menschsein besinnt, gewinnt unendlich viel Lebensqualität – und Autonomie. Aber, wer sich bisher über all das definierte, was jetzt langsam überflüssig wird, muss ganz schön umdenken.
Denken Sie, dass künftig Computer Personaler ersetzen können?
Computer sicher nicht, aber andere Berufsgruppen könnten die oft konservativen Personaler verdrängen. Funktionale Grenzen im Unternehmen lösen sich auf, die Wertschöpfungskette tritt ins Zentrum. Personaler müssen es schaffen, ihre Position neu zu definieren, sonst werden ihnen ITler den Job wegnehmen. Ich erlebe es, dass Personen aus der IT-Abteilung ihr Interesse für Psychologie und Mensch entdecken – eben weil sie merken, dass das das ist, was bleibt, wenn Maschinen einen Großteil der Arbeit übernehmen. Sie sehen das oft als Chance für sich selbst. Personaler verlieren damit eine Kernkompetenz, wenn sie es nicht schaffen, den Link zum Digitalen aufzubauen und sich als ernstzunehmende Berater zu positionieren. Ein lächerlicher Chatbot ist dagegen so ganz und gar keine Gefahr. Nur sieht diesen Punkt derzeit fast keiner.