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Thunfische sind vom Aussterben bedroht. In Gramatneusiedl streiten sich zwei Nachbarn über den Gartenzaun. Ein weiterer C‑Promi möchte jetzt als Influencer durchstarten. Nunja, diese Nachrichten schaffen es kaum im dichten Dschungel der Tweets und Posts, Schlagzeilen und News zu uns durchzudringen. Aber wenn ein bekannter YouTuber einen Baby-Delfin verspeist, sich die deutschen Diskonter Edeka und Lidl öffentlich auf kreativ-unterhaltsame Weise fetzen oder ein Bauarbeiter sich auf Instagram clever über Influencer lustig macht, dann interessiert uns das. Uns – und oft sogar Millionen andere. Sensationslust sei Dank.
Fast immer steckt hinter Geschichten, die sich – gerade über Social Media – wie ein Lauffeuer verbreiten, eine clevere Marketingaktion. Häufig werden dabei Strategien aus dem sogenannten Guerilla Marketing eingesetzt. Die Aktionen sind unkonventionell, überraschend, lustig oder schockierend. Sie schaffen es, sich durchzusetzen im medialen Dauerrauschen und Aufmerksamkeit zu erregen. Oft mit erstaunlich wenig Budgeteinsatz. Dafür immer mit besonders viel Kreativität und Originalität.
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Kreatives Employer Branding durch Guerilla Strategien?
Aber können Strategien aus dem Guerilla Marketing auch im Recruiting erfolgreich eingesetzt werden? Absolut! Gerade im Bereich des Employer Branding können Unternehmen mit intelligenten, kreativen Aktionen ihre Bekanntheit steigern, Aufmerksamkeit auf sich ziehen und ihr Arbeitgeberimage verbessern. Voraussetzung ist, dass die Maßnahmen wirklich zum Unternehmen passen, die richtige Zielgruppe erreichen und mit genug Fingerspitzengefühl umgesetzt werden, damit sie nicht nach hinten losgehen.
Manche Guerilla Marketing-Aktion bewegt sich in rechtlichen, moralischen oder ethischen Grauzonen. Nicht selten wird mit Tabubrüchen und entlang der Grenzen des guten Geschmacks gearbeitet, wie z.B. bei True Fruits. Von einem vertrauenswürdigen Arbeitgeber erwartet man sich allerdings Integrität und unverrückbare Werte. Provokation ist hier also bestimmt nicht das Mittel der Wahl.
Erlebnisse bleiben in Erinnerung
Eine Auseinandersetzung mit Guerilla Strategien lohnt sich aber. Denn gerade in jenen Branchen, in denen der Fachkräftemangel bereits schmerzhaft spürbar wird, wie z.B. der IT Branche, gilt es, sich von der Konkurrenz abzuheben, sympathisch zu wirken und sich als attraktiver Arbeitgeber zu positionieren. Das kann mit unkonventionellen Maßnahmen durchaus erreicht werden.
Zudem schaffen Guerilla-Aktionen häufig ein Erlebnis, erzählen eine Story, wecken Emotionen. Beste Voraussetzungen, um wirklich bei der Zielgruppe anzukommen und nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben. Da eine wirksame Aktion nicht unbedingt viel Geld kosten muss, ist Guerilla Recruiting gerade auch für KMUs interessant, die über weniger Ressourcen als Big Player verfügen und meist ein schlechteres Image haben (geringere Gehälter, weniger Aufstiegschancen usw.).
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Die wichtigsten Strategien
Um sich Input für eigene Ideen zu holen, ist es empfehlenswert, sich mit den Guerilla Prinzipien bzw. Strategien auseinanderzusetzen. Dabei stößt man immer wieder auf unterschiedliche Konzepte. Folgende Kategorien werden aber besonders häufig erwähnt:
- Ambient Marketing: Hier werden an bestimmten Orten – an denen vielleicht nicht unbedingt damit zu rechnen ist – temporäre Elemente angebracht, die die Umgebung miteinbeziehen (z.B. so wie hier).
- Ambush Marketing: Bei dem Events für eine auffällige Aktion genutzt werden – oft ohne die Erlaub-nis des Veranstalters. Hier wird auch von „Trittbrettfahrer-Marketing“ gesprochen.
- Virales Marketing: Das auf möglichst viel „Buzz“ in kurzer Zeit in sozialen Netzwerken abzielt.
- Sensation Marketing: Bei dem es vor allem darum geht, Aufmerksamkeit durch spektakuläre und ungewöhnliche Maßnahmen zu erregen (z.B. Flashmobs).
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Guerilla Recruiting: Vier Kategorien
Die beiden deutschen Marketing- bzw. HR-Expertinnen Katharina Klug, die wir zu diesem Thema interviewt haben (siehe unten), und Isabella Lang haben daraus vier Kategorien für Guerilla Recruiting abgeleitet:
- Ambient Recruiting
- Viral Recruiting
- Trojan Recruiting, das ebenfalls das Prinzip „Trittbrettfahren“ aufgreift (z.B. Abwerbebotschaften im Bereich von Mitbewerbern – siehe das Beispiel „Pizza Digitale“ weiter unten)
- Conspiracy Recruiting, für das erlebnisorientierte Events initiiert werden, die etwa Wettbewerbscharakter haben (z.B. Hackatons) oder durch Exklusivität Begehren wecken
In ihrer Untersuchung „Modernes Human Resources Management: Guerilla-Recruiting als Instrument des Employer Branding“ haben Isabella Land und Katharina Klug dazu viel spannenden Input und tolle Beispiele zusammengestellt.
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Unsere Beispiele: So geht’s richtig!
Hier ein paar ausgewählte Beispiele für cleveres Guerilla Recruiting:
Pizza Digitale
Eine Hamburger Werbeagentur ließ einen beliebten Pizzabäcker, der viele Kreative beliefert, zu jeder Bestellung der Konkurrenz eine „Pizza Digitale“ mitliefern. Auf der Pizza war ein QR-Code mit Tomatensauce abgebildet, der die Empfänger auf eine Landingpage mit einem Stellenangebot der Agentur führte.
Carrär Instructions
IKEA platzierte im Zuge einer Neueröffnung in Australien Handzettel mit Informationen zu freien Stellen in den Verpackungen der Möbelstücke. Das Ergebnis: 4.285 Bewerbungen, 280 neue Mitarbeiter.
Kündigungskalender
Die Agentur Jung von Matt verschickte 2013 einen Kalender an interessante Mitarbeiter von konkurrierenden Agenturen, der 365 abreißbare Kündigungsschreiben beinhaltete – natürlich um sich anschließend bei Jung von Matt zu bewerben.
Who cares?
Die Schwedische Armee ließ sich für die Rekrutierung von Soldaten eine aufsehenerregende Aktion einfallen: In Stockholm wurde eine Box positioniert, die einmal stündlich automatisch geöffnet wurde. Betrat eine Person diese Box, konnte sie diese erst wieder verlassen, wenn sich eine andere Person stattdessen hineinbegab. Was in der Box vor sich ging, konnte man über einen Video-Stream live beobachten. Mit dem Slogan „Who cares?“ wurden Passanten dazu aufgerufen, die Person in der Box zu befreien und selbst deren Platz einzunehmen.
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Interview mit der Expertin
Haben wir Ihr Interesse geweckt und wollten Sie mehr wissen? Zum Beispiel was es für eine erfolgreiche Aktion zu beachten gibt? Für welche Branchen Guerilla Recruiting besonders interessant ist? Wir haben Katharina Klug, die sich für die o.g. Untersuchung intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat, um ein Interview gebeten und Interessantes erfahren:
Wie sind Sie auf das Thema Guerilla Recruiting gekommen? Warum hat es Sie interessiert?
Ich habe mich bereits vor unserer Untersuchung intensiv mit Guerilla Marketing befasst. Mich hat interessiert, wo das Thema noch auftaucht. Im HR Bereich habe ich aber kaum etwas gefunden, was über die schlichte Aufzählung von Guerilla-Aktionen hinausgeht. Deshalb habe ich mich mit meiner Kollegin Isabella Lang, Professorin mit dem Schwerpunkt Personalwesen, zusammengetan, um hier genauer hinzusehen.
Guerilla Marketing gibt es ja bereits seit den 1980er Jahren. Hat der HR Bereich die Guerilla-Strategien eher spät aufgegriffen?
So möchte ich das nicht formulieren – das klingt ja fast vorwurfsvoll. Ich denke, der HR Bereich hat sich vom Marketing inspirieren lassen als die Guerilla Strategien dort bereits gut etabliert waren. Und während man sich im Marketing schon lange mit Branding befasst, ist das Thema Employer Branding im HR ja noch nicht so lange groß.
Nun geht es aber im Personalbereich zunehmend darum, auf einem Arbeitsmarkt, auf dem immer weniger passende Bewerber verfügbar sind, sichtbar zu werden und die richtigen Personen anzusprechen. Da ist es schlüssig, auch Strategien aus dem Guerilla Marketing aufzugreifen. Das sind einfach zusätzliche „Werkzeuge“. Guerilla Recruiting wird nichts Bestehendes ablösen.
Was ist Ihnen bei Ihren Recherchen aufgefallen? Hat Sie etwas überrascht?
Ich fand es interessant, dass sich auch öffentliche Institutionen dieser Strategien bedienen – so wie das Schwedische Militär. Das hat mich schon überrascht.
Wir wirksam ist Guerilla Recruiting? Sollten mehr Unternehmen es einsetzen?
Wir haben ja keine Wirksamkeitsstudie gemacht. Daher kann ich dazu keine fundierte Aussage treffen. Es lässt sich aber sagen, dass man mit Guerilla Strategien sicher Aufmerksamkeit erzeugen kann. Ob sich das direkt in höheren Bewerberzahlen niederschlägt und es die passenden Bewerber sind, die darauf reagieren, müsste eine Studie dazu ergeben.
Aber ich bin überzeugt, dass es ein Weg ist, um sichtbar zu werden und Aufmerksamkeit zu erregen. Allerdings sollte man aufpassen: Nur laut und aufmerksamkeitsstark zu agieren reicht nicht. Im schlechtesten Fall kann man durchaus auch negative Konsequenzen für das eigene Arbeitgeberimage riskieren.
Was ist aus Ihrer Sicht entscheidend für den Erfolg von Guerilla Recruiting?
Die Aktion muss zur Arbeitgebermarke passen. Es geht nicht darum, besonders verrückt aufzutreten. Auch wenn das viele, die jüngere Zielgruppen ansprechen möchten, zu denken scheinen. In einer eher konservativen Branche kann ich mir andere Wege überlegen, um meine Zielgruppe zu überraschen. Wenn ich da zu schrill und laut auftrete, wirke ich eher unglaubwürdig.
Außerdem sollte ich meine strategischen Ziele vorher klar formulieren: Geht es mir nur um mehr Bewerber? Oder möchte ich vielleicht weniger, aber dafür die genau richtigen Bewerber finden? Denn was bringt es mir, wenn ich viele Bewerbungen bekomme – aber die Bewerber nicht wirklich zu den offenen Positionen passen.
Gibt es Branchen, in denen Guerilla Strategien besonders häufig angewendet werden? Oder ist Guerilla Recruiting für alle Branchen interessant?
Wir haben flächendeckend nach Aktionen gesucht. Fündig geworden sind wir besonders in Branchen, die ohnehin mit Kreativität zu tun haben – und wo man daher auch eher kreative Ideen im Recruiting findet – und in Branchen, die besonders vom Fachkräftemangel betroffen sind. In der IT-Branche muss man sich inzwischen mehr einfallen lassen als nur ein Stelleninserat auf irgendeiner Plattform. Aber wie schon erwähnt gab es auch Ausnahmen, z.B. im öffentlichen Bereich.
Ich denke nicht, dass die Guerilla Strategien nur in bestimmten Branchen funktionieren. Viel eher sollte man überlegen, um welche Position es konkret geht. Einen CEO wird man über andere Wege finden. Eher geeignet sind aus meiner Sicht Positionen für Spezialisten. Oder das genaue Gegenteil davon: Positionen, die schnell erlernbar sind.
Sie unterscheiden vier Kategorien von Guerilla Strategien. Gibt es eine, die besonders gut funktioniert oder besonders häufig angewendet wird?
Wir haben uns angesehen, wie die verschiedenen Aktionen, die wir gefunden haben, hier einzuordnen sind. Dabei haben wir sehr viel im Ambient Bereich gefunden – was übrigens im Guerilla Marketing ähnlich aussieht. Die Aktionen sind in der Regel schneller und einfacher umsetzbar als andere.
Gab es eine Lieblingsaktion?
Spontan würde ich sagen: Die erwähnte Kampagne der Schwedischen Armee. Und die IKEA Kampagne. Das ist eigentlich ein geringer Aufwand, wenn man die Aktion im Produktionsprozess gleich mitberücksichtigt. Wir wissen, dass im Grunde alle bei IKEA einkaufen – durch alle Altersgruppen und Schichten. Und wer dort gekauft hat, hat bereits eine Verbindung hergestellt. Wie wirksam die Kampagne war, kann ich nicht beurteilen. Aber sie erscheint mir simpel und einleuchtend.
Viele Aktionen wurden eher von größeren Unternehmen gestartet. Wären die Guerilla Taktiken nicht eher etwas für kleinere Unternehmen, die wenig Budget und oft ein nicht so gutes Arbeitgeberimage haben?
Ich denke, die großen Unternehmen publizieren auch eher, wenn sie so eine Aktion starten. Wir haben durchaus auch tolle Aktionen von kleineren Unternehmen gefunden. Die kommunizieren das dann halt nicht so breitenwirksam. Grundsätzlich ist sind die Guerilla Strategien sicher auch für kleinere Unternehmen geeignet.
Sind Guerilla Strategien nicht oft rechtlich riskant?
Kommt darauf an, wie man diese definiert. Für mich gehört nicht dazu, sich in rechtliche Grauzonen zu begeben. Es geht vielmehr um überraschende Maßnahmen in einer neuen Umgebung. Ich würde gerade im Recruiting eher davon abraten, sich in Grauzonen vorzuwagen oder gar Rechte zu verletzen. Es ist sicher noch heikler, sich als Arbeitgeber hier in ein bestimmtes Licht zu rücken. Verlässlichkeit ist für Mitarbeiter sehr wichtig. Konsumenten drücken da vielleicht eher ein Auge zu.